Mit dem Zeppelin NT über die Ostsee

Der Zeppelin NT, normalerweise am Bodensee zuhause, schwebte im Sommer zehn Tage über der Ostsee nahe Bornholm. Forscher an Bord nutzten ihn als wissenschaftliche Plattform, um unsichtbare Wasserwirbel zu untersuchen

  • Fotos: Uwe Stohrer
  • Text: Jürgen Schelling

Auf dem weitläufigen Gelände des ehemaligen Militärflugplatzes Peenemünde im Norden der Ostsee-Insel Usedom herrscht bereits frühmorgens eifrige Geschäftigkeit. Wissenschaftler präparieren oder kontrollieren ihre Geräte in der Kabine des 75 Meter langen Luftschiffs, die Piloten Fritz Günther und Kate Board sprechen noch einmal die ungefähre Flugroute über dem Meer und die Wetterprognosen durch. Einige Meter weiter wird ein Spezialflugzeug vom Typ Stemme S-10 VTX bereit gemacht. In dem Motorsegler mit dem ungewöhnlichen Faltpropeller sitzen zwei Forscher, beide mit Privatpilotenlizenz. Unter den Tragflügeln hängen Spezialkameras. Die mehr als 120 Knoten schnelle Stemme fungiert quasi als Scout, sie lotst anhand ihrer Messungen aus etwa etwa 9000 Fuß Höhe den deutlich langsameren und tiefer fliegenden Zeppelin ins Zielgebiet, das jeden Tag aufs Neue ausgekundschaftet wird.

Der ganze Standort atmet quasi Historie, hat Peenemünde doch im Zweiten Weltkrieg als Raktenversuchsanstalt sowie Abschussbasis und später in der DDR als Luftwaffenstandort eine bewegte und nicht unumstrittene Geschichte. Gleichzeitig ist Peenemünde aber auch ein ganz normaler General-Aviation-Sonderlandeplatz, der vom UL bis zur Mehrmotorigen und vom Gyrocopter bis zum Hubschrauber genutzt werden kann. Dazu gibts einen phantastischen Landeanflug vom Meer her. 2400 Meter Betonpiste stehen üblicherweise für Luftfahrzeuge bis 5,7 Tonnen zur Verfügung, mit PPR darf aber im Extremfall sogar ein 200-Tonnen schweres Flugzeug hier landen.

Nach dem Start der Stemme S-10 ist wenig später auch der Zeppelin NT, das NT steht für Neue Technologie, abflugbereit. Jetzt gibt die Crew der Bodenmannschaft das Zeichen zum Abheben. Das Luftschiff wird von seinem auf einem Lkw befestigten Ankermast getrennt, indem eine Verbindungsleine gelöst wird. Pilotin Kate Board schiebt die Gashebel nach vorn. Fast senkrecht steigt der Zeppelin brummend in den Himmel. An Bord sind statt der sonst üblichen Rundfluggäste mehrere Wissenschaftler. Denn für sie ist der Zeppelin die optimale Plattform, um kleine Wasserwirbel in der Ostsee zu entdecken und zu erforschen.

Diese von etwa hundert Meter bis einige Kilometer großen Wirbel im Meer beeinflussen wahrscheinlich das Klima, sie haben zudem mit der Algenentstehung und damit auch Nahrungsverteilung in den Weltmeeren zu tun. Ihre Erforschung steht allerdings erst ganz am Anfang. Die Ostsee wurde deshalb als Einsatzgebiet ausgewählt, weil in diesem Binnenmeer der Einfluss von Gezeiten vernachlässigbar ist. Und da die kleinen Wasserwirbel immer nur einige Stunden bis maximal einen Tag existieren, sind sie schwer zu entdecken. Auch sind sie mit bloßem Auge nicht erkennbar. Die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Küstenforschung in Geesthacht kommen ihnen allerdings mit speziellen Geräten auf die Spur. Dies geschieht mit Hilfe von hochempfindlichen Kameras im Zeppelin und in der Stemme S-10, aber auch durch drei Begleitschiffe direkt in der Ostsee, die jeden Tag vom dänischen Bornholm aus starten. Sie werden vom Luftschiff aus dirigiert und nehmen mit Hilfe von geschleppten Unterwassersonden weitere Messungen vor. Die Wasserwirbel, so die Forscher, seien vergleichbar kleinen Zahnrädern in einem großen Getriebe des maritimen Wassertransports. Da sie ineinander greifen wie ein Uhrwerk, trägt das Forschungsprojekt auch den Titel “Uhrwerk Ozean”.

Die Genauigkeit der Messungen mit Hilfe des Zeppelins ist um bis zu eine Million mal höher als die Daten, die durch einen Satelliten erhoben werden können. Aber nicht nur dadurch ist der normalerweise am Bodensee fliegende Zeppelin für diesen Forschungsauftrag prädestiniert. So kann er direkt über den Wasserwirbeln in der Luft stehen bleiben und diese bis zu zehn Stunden nonstop verfolgen. Ein Hubschrauber hingegen hätte nicht so viel Platz an Bord für die Messgeräte und müsste nach wenigen Stunden Flug immer zum Tanken zurück aufs Festland. Der Zeppelin hingegen schwebt notfalls stundenlang über dem entdeckten Wirbel. Das gelingt während der Mission auch mehrere Male perfekt. Die Crew dirigiert nun die drei Forschungsschiffe mitten in ihn hinein. Eine extrem empfindliche Infrarotkamera an Bord erstellt Temperaturkarten der Wasseroberfläche und macht dabei etwa 100 Bilder pro Sekunde. Die zweite Thermalkamera misst Temperaturunterschiede, die auf 0,03 Grad genau erfasst werden können. Nur durch diese Wärmeunterschiede im Wasser können die Wirbel überhaupt aufgespürt werden. Eine weitere Kamera bestimmt bis zu 1000 verschiedene Bereiche des Lichtspektrums und dadurch die Färbung des Wassers. Mit dieser Untersuchung kommen die Forscher der Entstehung und dem Wachstum der Algen auf die Spur, die wiederum Meeresbewohnern als Nahrung dienen.

Den bis zu sechs Wissenschaftlern an Bord bleibt angesichts ihrer vielfältigen Aufgaben zwar wenig Zeit, sich für das Zeppelinfliegen zu begeistern. Aber auch sie schätzen diese besondere Form der Fortbewegung. Die Sicht aus den großen Fenstern ist hervorragend, sie brauchen während des Flugs auch nicht angeschnallt zu sein. Zudem ist eine Toilette bei den mehrstündigen Einsätzen an Bord.

Auch für die beiden Luftschiff-Führer, Zeppelin-Chefpilot Fritz Günther und seine Kollegin Kate Board, sind diese Flüge etwas Besonderes. Zwar kennen sie sich mit dem Fliegen über Wasser aus, denn im normalen Passagierbetrieb sind sie meistens über dem Bodensee unterwegs. Hier an der Ostsee heißt es aber über offenes Meer zu schweben und statt einer vorgegebenen Flugroute ständig spontan auf möglich vorkommende Wasserwirbel zu reagieren. Diese zu verfolgen und über ihnen zu verharren ist zwar eine willkommene Abwechslung, aber eben auch eine fliegerische Herausforderung. Die entdeckten Wasserwirbel bekommen die Piloten eigens auf einem zusätzlichen Display im Panel angezeigt. So wissen sie sofort, wo die Forscher gerade hinwollen.

Normalerweise wird im Zeppelin nur ein Pilot benötigt, es wird nach VFR und Single-Hand geflogen. Da die Forschungsmissionen aber bis zu zehn Stunden nonstop dauern, wechseln sich Kate Board und Fritz Günther öfter ab. Mit einer Hand wird während des Flugs der Sidestick für die Steuerung bedient, mit der Anderen die Hebel für Leistung und Schubrichtung der drei Motoren. Dazu kommt die eigens entwickelte Schubvektorsteuerung: Mit deren Hilfe erhöhen zwei Propeller am Heck die Manövrierbarkeit. Zwar wird der Zeppelin NT bei seiner Reisegeschwindigkeit von rund 40 Knoten wie ein Flugzeug durch Seiten- und Höhenruder gesteuert. Diese lassen aber bei Geschwindigkeiten unter 25 Knoten deutlich in ihrer Wirkung nach. Durch Schwenken eines Propellers nach unten kann die Nickbewegung des Luftschiffs verstärkt oder veringert werden, ein zweiter Propeller im Heck wirkt ähnlich wie der Heckrotor eines Helikopters in lateraler Richtung. Beide Luftschrauben kompensieren im Langsamflug die nachlassende Wirkung der Ruderflächen und werden ebenso wie diese durch einen Sidestick vom Piloten angesteuert.

Zudem sind die Gondeln der drei je 200 PS starken Lycoming so stark schwenkbar, dass der Zeppelin wie ein Hubschrauber oder Senkrechtstarter stehen bleiben oder notfalls sogar rückwärts fliegen kann. Dazu ist aber umfangreiche Flugerfahrung notwendig. Wohl auch deshalb gibt es weltweit mehr Astronauten wie Zeppelinpiloten. Und wer links vorne im Zeppelincockpit sitzen will, kann das auch nicht wie beim Segel-, Motor- oder Helikopterflug von der Pike auf lernen. Man muss schon einen CPL für Fläche oder Helikopter und einiges an Flugerfahrung haben, um sich bewerben zu können. Dann kann man bei Eignung und Bedarf von der Zeppelin-Reederei umgeschult werden. Das dauert etwa ein Jahr, ein weiteres Jahr ist ein erfahrener Pilot immer noch mit an Bord, bevor der neue Luftschifführer allein mit Passagieren auf Strecke darf. Derzeit gibt es bei der Zeppelin Reederei in Friedrichshafen sechs angestellte Piloten. Wird ein neues Luftschiff verkauft, werden entsprechend neue Piloten je nach Bedarf geschult.

Helikopterpiloten tun sich nach Auskunft von Fritz Günther etwas leichter mit der Umschulung auf das Luftschiff als Umsteiger von der Fläche, weil sie mit Hovern oder sogar Rückwärtsfliegen bereits vom Hubschrauber her vertraut sind. Allerdings hat der 75 Meter lange und fast 18 Meter hohe Zeppelin ohnehin seine eigenen fliegerischen Besonderheiten. Er ist weniger wendig als andere Fluggeräte, weshalb man sehr vorausschauend fliegen muss. “Es ist immer gut, in der Fliegerei einen Plan B zu haben, beim Zeppelin ist es besser, auch einen Plan C und notfalls D zu haben”, betont Günther. Er vergleicht den Zeppelin NT mit seinen insgesamt 7400 Kubikmetern Helium zur Auftriebserzeugung deshalb auch scherzhaft mit einem Öltanker, der nach dem Befehl zum Stopp noch rund 30 Kilometer weit fährt, bis er tatsächlich stillsteht. Zudem muss der Pilot sein Schiff beim Passagierwechsel auch am Boden unter ständiger Kontrolle halten, da die Bodencrew aus nur vier Helfern besteht. Anders als bei einem Pralluftschiff, das oft von bis zu einem Dutzend Mann mit Hilfe herunterhängender Seile regelrecht “eingefangen” und damit stabilisiert wird, bleibt ein Zeppelin-Kapitän deshalb auch beim Aufenthalt auf der Erde immer aufmerksam. Dafür spart die kleine Bodencrew des Zeppelins Personal und senkt damit die direkten Betriebskosten.

Zwar werden die beiden deutschen Bodensee-Zeppeline NT nur nach VFR geflogen, aber manchmal wird zu Übungszwecken auch mal ein ILS abgeritten. Deshalb wird es auch gern gesehen, wenn bereits ein IFR-Rating beim Piloten vorhanden ist. Die drei für die USA vorgesehenen Zeppeline, von denen zwei bereits an den Konzern Goodyear ausgeliefert wurden, sind sogar für IFR-Betrieb zugelassen und zertifiziert. Sie werden in den USA bei den oft langen Überführungsflügen auch unter Instrumentenflugbedingungen betrieben. Das einzige “No go” für den Zeppelin: Schnee. Denn der bleibt auf der Hülle liegen und könnte die empfindliche Balance möglicherweise ausser Kontrolle bringen. 

Geflogen wurde auf Usedom möglichst jeden Tag innerhalb der fast zweiwöchigen Mission. Lediglich bei drohenden Unwettern und zu hohen Windgeschwindigkeiten musste der Zeppelin in Peenemünde an seinem Ankermast bleiben. Auch zu starke Bewölkung verfälscht die Messergebnisse. Der eine oder andere vorgesehene Flug fiel deshalb auch aus. Dennoch kamen mit An- und Abflug mehr als 77 Flugstunden zusammen. Für die beiden Piloten bedeutete das Fliegen über der Ostsee vor allem, sich noch genauer als sonst mit den Wetterprognosen zu beschäftigen. Denn während am Bodensee über einem bekannten und relativ kleinräumigen Gebiet operiert wird, konnten die Ostsee-Einsätze nicht exakt im Voraus geplant werden. Möglicherweise aufkommender Sturm muss ebenso beachtet werden wie der hier selbst im Sommer manchmal plötzlich auftretende Seenebel. Der kann dazu führen, dass der Landeplatz im dichten Nebel versinkt, während einige Meter höher strahlender Sonnenschein herrscht. Es heißt also aufpassen für die Cockpitcrew.

In Peenemünde diente die Kabine des Zeppelins nicht nur den Wissenschaftlern, sondern jede Nacht auch als Schlafstätte. Immer einer aus der Boden-Crew musste im Luftschiff übernachten und Wache halten. Der Zeppelin kann sich zwar flexibel rings um seinen Ankermast immer genau in den Wind drehen, um diesem möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Falls aber ein Unwetter droht oder plötzlich sehr starker Wind aufkommt, müssen die anderen Crew-Mitarbeiter und die Piloten alarmiert werden, um das riesige Luftschiff zusätzlich zu sichern. Dies war glücklicherweise nicht der Fall, auch wenn ein heftiges Gewitter ziemlich knapp am Flugplatz Peenemünde vorbeizog.

Da die Wissenschaftler die Vorzüge des Zeppelin NT für ihre Forschungsarbeit zu schätzen gelernt haben, ist ein Comeback des Luftschiffs als “wissenschaftlicher Assistent” nicht ausgeschlossen. Die Piloten und die Bodencrew hätten ohnehin nichts dagegen, von Peenemünde aus wieder einmal in die Luft zu gehen. 

Auf dem weitläufigen Gelände des ehemaligen Militärflugplatzes Peenemünde im Norden der Ostsee-Insel Usedom herrscht bereits frühmorgens eifrige Geschäftigkeit. Wissenschaftler präparieren oder kontrollieren ihre Geräte in der Kabine des 75 Meter langen Luftschiffs, die Piloten Fritz Günther und Kate Board sprechen noch einmal die ungefähre Flugroute über dem Meer und die Wetterprognosen durch. Einige Meter weiter wird ein Spezialflugzeug vom Typ Stemme S-10 VTX bereit gemacht. In dem Motorsegler mit dem ungewöhnlichen Faltpropeller sitzen zwei Forscher, beide mit Privatpilotenlizenz. Unter den Tragflügeln hängen Spezialkameras. Die mehr als 120 Knoten schnelle Stemme fungiert quasi als Scout, sie lotst anhand ihrer Messungen aus etwa etwa 9000 Fuß Höhe den deutlich langsameren und tiefer fliegenden Zeppelin ins Zielgebiet, das jeden Tag aufs Neue ausgekundschaftet wird.

Der ganze Standort atmet quasi Historie, hat Peenemünde doch im Zweiten Weltkrieg als Raktenversuchsanstalt sowie Abschussbasis und später in der DDR als Luftwaffenstandort eine bewegte und nicht unumstrittene Geschichte. Gleichzeitig ist Peenemünde aber auch ein ganz normaler General-Aviation-Sonderlandeplatz, der vom UL bis zur Mehrmotorigen und vom Gyrocopter bis zum Hubschrauber genutzt werden kann. Dazu gibts einen phantastischen Landeanflug vom Meer her. 2400 Meter Betonpiste stehen üblicherweise für Luftfahrzeuge bis 5,7 Tonnen zur Verfügung, mit PPR darf aber im Extremfall sogar ein 200-Tonnen schweres Flugzeug hier landen.

Nach dem Start der Stemme S-10 ist wenig später auch der Zeppelin NT, das NT steht für Neue Technologie, abflugbereit. Jetzt gibt die Crew der Bodenmannschaft das Zeichen zum Abheben. Das Luftschiff wird von seinem auf einem Lkw befestigten Ankermast getrennt, indem eine Verbindungsleine gelöst wird. Pilotin Kate Board schiebt die Gashebel nach vorn. Fast senkrecht steigt der Zeppelin brummend in den Himmel. An Bord sind statt der sonst üblichen Rundfluggäste mehrere Wissenschaftler. Denn für sie ist der Zeppelin die optimale Plattform, um kleine Wasserwirbel in der Ostsee zu entdecken und zu erforschen.

Diese von etwa hundert Meter bis einige Kilometer großen Wirbel im Meer beeinflussen wahrscheinlich das Klima, sie haben zudem mit der Algenentstehung und damit auch Nahrungsverteilung in den Weltmeeren zu tun. Ihre Erforschung steht allerdings erst ganz am Anfang. Die Ostsee wurde deshalb als Einsatzgebiet ausgewählt, weil in diesem Binnenmeer der Einfluss von Gezeiten vernachlässigbar ist. Und da die kleinen Wasserwirbel immer nur einige Stunden bis maximal einen Tag existieren, sind sie schwer zu entdecken. Auch sind sie mit bloßem Auge nicht erkennbar. Die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Küstenforschung in Geesthacht kommen ihnen allerdings mit speziellen Geräten auf die Spur. Dies geschieht mit Hilfe von hochempfindlichen Kameras im Zeppelin und in der Stemme S-10, aber auch durch drei Begleitschiffe direkt in der Ostsee, die jeden Tag vom dänischen Bornholm aus starten. Sie werden vom Luftschiff aus dirigiert und nehmen mit Hilfe von geschleppten Unterwassersonden weitere Messungen vor. Die Wasserwirbel, so die Forscher, seien vergleichbar kleinen Zahnrädern in einem großen Getriebe des maritimen Wassertransports. Da sie ineinander greifen wie ein Uhrwerk, trägt das Forschungsprojekt auch den Titel “Uhrwerk Ozean”.

Die Genauigkeit der Messungen mit Hilfe des Zeppelins ist um bis zu eine Million mal höher als die Daten, die durch einen Satelliten erhoben werden können. Aber nicht nur dadurch ist der normalerweise am Bodensee fliegende Zeppelin für diesen Forschungsauftrag prädestiniert. So kann er direkt über den Wasserwirbeln in der Luft stehen bleiben und diese bis zu zehn Stunden nonstop verfolgen. Ein Hubschrauber hingegen hätte nicht so viel Platz an Bord für die Messgeräte und müsste nach wenigen Stunden Flug immer zum Tanken zurück aufs Festland. Der Zeppelin hingegen schwebt notfalls stundenlang über dem entdeckten Wirbel. Das gelingt während der Mission auch mehrere Male perfekt. Die Crew dirigiert nun die drei Forschungsschiffe mitten in ihn hinein. Eine extrem empfindliche Infrarotkamera an Bord erstellt Temperaturkarten der Wasseroberfläche und macht dabei etwa 100 Bilder pro Sekunde. Die zweite Thermalkamera misst Temperaturunterschiede, die auf 0,03 Grad genau erfasst werden können. Nur durch diese Wärmeunterschiede im Wasser können die Wirbel überhaupt aufgespürt werden. Eine weitere Kamera bestimmt bis zu 1000 verschiedene Bereiche des Lichtspektrums und dadurch die Färbung des Wassers. Mit dieser Untersuchung kommen die Forscher der Entstehung und dem Wachstum der Algen auf die Spur, die wiederum Meeresbewohnern als Nahrung dienen.

Den bis zu sechs Wissenschaftlern an Bord bleibt angesichts ihrer vielfältigen Aufgaben zwar wenig Zeit, sich für das Zeppelinfliegen zu begeistern. Aber auch sie schätzen diese besondere Form der Fortbewegung. Die Sicht aus den großen Fenstern ist hervorragend, sie brauchen während des Flugs auch nicht angeschnallt zu sein. Zudem ist eine Toilette bei den mehrstündigen Einsätzen an Bord.

Auch für die beiden Luftschiff-Führer, Zeppelin-Chefpilot Fritz Günther und seine Kollegin Kate Board, sind diese Flüge etwas Besonderes. Zwar kennen sie sich mit dem Fliegen über Wasser aus, denn im normalen Passagierbetrieb sind sie meistens über dem Bodensee unterwegs. Hier an der Ostsee heißt es aber über offenes Meer zu schweben und statt einer vorgegebenen Flugroute ständig spontan auf möglich vorkommende Wasserwirbel zu reagieren. Diese zu verfolgen und über ihnen zu verharren ist zwar eine willkommene Abwechslung, aber eben auch eine fliegerische Herausforderung. Die entdeckten Wasserwirbel bekommen die Piloten eigens auf einem zusätzlichen Display im Panel angezeigt. So wissen sie sofort, wo die Forscher gerade hinwollen.

Normalerweise wird im Zeppelin nur ein Pilot benötigt, es wird nach VFR und Single-Hand geflogen. Da die Forschungsmissionen aber bis zu zehn Stunden nonstop dauern, wechseln sich Kate Board und Fritz Günther öfter ab. Mit einer Hand wird während des Flugs der Sidestick für die Steuerung bedient, mit der Anderen die Hebel für Leistung und Schubrichtung der drei Motoren. Dazu kommt die eigens entwickelte Schubvektorsteuerung: Mit deren Hilfe erhöhen zwei Propeller am Heck die Manövrierbarkeit. Zwar wird der Zeppelin NT bei seiner Reisegeschwindigkeit von rund 40 Knoten wie ein Flugzeug durch Seiten- und Höhenruder gesteuert. Diese lassen aber bei Geschwindigkeiten unter 25 Knoten deutlich in ihrer Wirkung nach. Durch Schwenken eines Propellers nach unten kann die Nickbewegung des Luftschiffs verstärkt oder veringert werden, ein zweiter Propeller im Heck wirkt ähnlich wie der Heckrotor eines Helikopters in lateraler Richtung. Beide Luftschrauben kompensieren im Langsamflug die nachlassende Wirkung der Ruderflächen und werden ebenso wie diese durch einen Sidestick vom Piloten angesteuert.

Zudem sind die Gondeln der drei je 200 PS starken Lycoming so stark schwenkbar, dass der Zeppelin wie ein Hubschrauber oder Senkrechtstarter stehen bleiben oder notfalls sogar rückwärts fliegen kann. Dazu ist aber umfangreiche Flugerfahrung notwendig. Wohl auch deshalb gibt es weltweit mehr Astronauten wie Zeppelinpiloten. Und wer links vorne im Zeppelincockpit sitzen will, kann das auch nicht wie beim Segel-, Motor- oder Helikopterflug von der Pike auf lernen. Man muss schon einen CPL für Fläche oder Helikopter und einiges an Flugerfahrung haben, um sich bewerben zu können. Dann kann man bei Eignung und Bedarf von der Zeppelin-Reederei umgeschult werden. Das dauert etwa ein Jahr, ein weiteres Jahr ist ein erfahrener Pilot immer noch mit an Bord, bevor der neue Luftschifführer allein mit Passagieren auf Strecke darf. Derzeit gibt es bei der Zeppelin Reederei in Friedrichshafen sechs angestellte Piloten. Wird ein neues Luftschiff verkauft, werden entsprechend neue Piloten je nach Bedarf geschult.

Helikopterpiloten tun sich nach Auskunft von Fritz Günther etwas leichter mit der Umschulung auf das Luftschiff als Umsteiger von der Fläche, weil sie mit Hovern oder sogar Rückwärtsfliegen bereits vom Hubschrauber her vertraut sind. Allerdings hat der 75 Meter lange und fast 18 Meter hohe Zeppelin ohnehin seine eigenen fliegerischen Besonderheiten. Er ist weniger wendig als andere Fluggeräte, weshalb man sehr vorausschauend fliegen muss. “Es ist immer gut, in der Fliegerei einen Plan B zu haben, beim Zeppelin ist es besser, auch einen Plan C und notfalls D zu haben”, betont Günther. Er vergleicht den Zeppelin NT mit seinen insgesamt 7400 Kubikmetern Helium zur Auftriebserzeugung deshalb auch scherzhaft mit einem Öltanker, der nach dem Befehl zum Stopp noch rund 30 Kilometer weit fährt, bis er tatsächlich stillsteht. Zudem muss der Pilot sein Schiff beim Passagierwechsel auch am Boden unter ständiger Kontrolle halten, da die Bodencrew aus nur vier Helfern besteht. Anders als bei einem Pralluftschiff, das oft von bis zu einem Dutzend Mann mit Hilfe herunterhängender Seile regelrecht “eingefangen” und damit stabilisiert wird, bleibt ein Zeppelin-Kapitän deshalb auch beim Aufenthalt auf der Erde immer aufmerksam. Dafür spart die kleine Bodencrew des Zeppelins Personal und senkt damit die direkten Betriebskosten.

Zwar werden die beiden deutschen Bodensee-Zeppeline NT nur nach VFR geflogen, aber manchmal wird zu Übungszwecken auch mal ein ILS abgeritten. Deshalb wird es auch gern gesehen, wenn bereits ein IFR-Rating beim Piloten vorhanden ist. Die drei für die USA vorgesehenen Zeppeline, von denen zwei bereits an den Konzern Goodyear ausgeliefert wurden, sind sogar für IFR-Betrieb zugelassen und zertifiziert. Sie werden in den USA bei den oft langen Überführungsflügen auch unter Instrumentenflugbedingungen betrieben. Das einzige “No go” für den Zeppelin: Schnee. Denn der bleibt auf der Hülle liegen und könnte die empfindliche Balance möglicherweise ausser Kontrolle bringen. 

Geflogen wurde auf Usedom möglichst jeden Tag innerhalb der fast zweiwöchigen Mission. Lediglich bei drohenden Unwettern und zu hohen Windgeschwindigkeiten musste der Zeppelin in Peenemünde an seinem Ankermast bleiben. Auch zu starke Bewölkung verfälscht die Messergebnisse. Der eine oder andere vorgesehene Flug fiel deshalb auch aus. Dennoch kamen mit An- und Abflug mehr als 77 Flugstunden zusammen. Für die beiden Piloten bedeutete das Fliegen über der Ostsee vor allem, sich noch genauer als sonst mit den Wetterprognosen zu beschäftigen. Denn während am Bodensee über einem bekannten und relativ kleinräumigen Gebiet operiert wird, konnten die Ostsee-Einsätze nicht exakt im Voraus geplant werden. Möglicherweise aufkommender Sturm muss ebenso beachtet werden wie der hier selbst im Sommer manchmal plötzlich auftretende Seenebel. Der kann dazu führen, dass der Landeplatz im dichten Nebel versinkt, während einige Meter höher strahlender Sonnenschein herrscht. Es heißt also aufpassen für die Cockpitcrew.

In Peenemünde diente die Kabine des Zeppelins nicht nur den Wissenschaftlern, sondern jede Nacht auch als Schlafstätte. Immer einer aus der Boden-Crew musste im Luftschiff übernachten und Wache halten. Der Zeppelin kann sich zwar flexibel rings um seinen Ankermast immer genau in den Wind drehen, um diesem möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Falls aber ein Unwetter droht oder plötzlich sehr starker Wind aufkommt, müssen die anderen Crew-Mitarbeiter und die Piloten alarmiert werden, um das riesige Luftschiff zusätzlich zu sichern. Dies war glücklicherweise nicht der Fall, auch wenn ein heftiges Gewitter ziemlich knapp am Flugplatz Peenemünde vorbeizog.

Da die Wissenschaftler die Vorzüge des Zeppelin NT für ihre Forschungsarbeit zu schätzen gelernt haben, ist ein Comeback des Luftschiffs als “wissenschaftlicher Assistent” nicht ausgeschlossen. Die Piloten und die Bodencrew hätten ohnehin nichts dagegen, von Peenemünde aus wieder einmal in die Luft zu gehen. 

 

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